· 

Bildungschancen nicht verschlafen

Alexander Föhr

Seit dem 1. März sitze ich für den Wahlkreis Heidelberg im Bundestag und bin Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgeabschätzung. Direkt in meiner ersten ganzen Sitzungswoche im Parlament sprechen zu können, hat mich sehr gefreut. Es ist etwas Besonderes, unter dem großen Adler am Rednerpult zu stehen und es fühlte sich auch besonders an. Ich muss zugeben, dass ich spätestens ab dem Moment aufgeregt war, als mein Name auf der Rednertafel erschien.

Mit Tagesordnungspunkt 14, Bildungschancen nicht verschlafen - Startchancen-Programm in 2023 starten, haben wir als Union Bildungsministerin Stark Watzinger aufgefordert, endlich ein klares Konzept für die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Elternhäusern auf den Weg zu bringen. 22 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland beherrschen nicht einmal die Mindestanforderungen in Mathematik. Über 47.000 junge Menschen beenden die Schule ohne jeden Abschluss. Das Corona-Aufholprogramm der Großen Koalition, zwei Milliarden Euro mit denen Bund und Länder Kinder und Jugendliche unterstützt haben, ein Programm, das gerade dafür da war, die pandemiebedingte Lernrückstände aufzuholen, wurde von der jetzigen Regierung nicht verlängert.
 
Der Entwurf der Rede bereitete mir einiges Kopfzerbrechen. Die bisherige Bilanz von Bildungs- und Forschungspolitikerin Stark-Watzinger ist, höflich ausgedrückt, äußerst bescheiden. Kein einziges großes Projekt wurde seit dem Start der Ampelkoaltion umgesetzt. In dieser Woche scheiterte auch noch ihr Bildungsgipfel.  14 von 16 Landesbildungsministerinnen und -ministern blieben dem sogenannten Gipfel aufgrund fehlender Agenda und Zielsetzung fern. Und während die Ministerin ohne ihre Länderkolleginnen und -kollegen im Berliner Congress Center tagten, demonstrierten vor dem Bildungsministerium Long-Covid-Betroffene und ME/CFS- und Post-Vac-Erkrankte für Aufmerksamkeit und mehr Forschungsgelder. Vieles liegt im Argen und ich hätte gerne mehr in meiner Rede untergebracht, als mir an Zeit zustand.

Das sogenannte Startchancenprogramm, Inhalt des Koalitionsvertrages und im November 2021 vorgestellt, soll in der Theorie 4.000 Schulen mit einer hohen Quote sozial benachteiligter Schüler unterstützen. In der Praxis ist bisher gar nichts passiert. Bis heute liegt nicht einmal ein klares Konzept vor.

Selbst der eigene Koalitionspartner, die SPD, konnte diesen Stillstand nicht mehr ertragen und verlangt in Interviews und Positionspapieren den Beginn des Programms für das Schuljahr 2023/24. Die Union teilt diese Auffassung.

Die Einigkeit mit den Sozialdemokraten bleibt jedoch auf den Ruf nach einem frühen Programmbeginn begrenzt. Die von Saskia Esken öffentlich erhobene Forderung nach einem 100 Milliarden schweren Sondervermögen, habe ich in meiner Plenarrede deutlich kritisiert:

"100 Milliarden Euro Sondervermögen? Das sind 100 Milliarden Euro neue Schulden. Weil die Bildungsministerin offensichtlich nicht das Durchsetzungsvermögen in den eigenen Reihen hat, im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel Bildung Priorität einzuräumen. Schulden, die von den Schülerinnen und Schülern in den kommenden Jahrzehnten zurückgezahlt werden sollen."

Das dunkle Loch der deutschen Bildungsmisere, hier in Gestalt von fehlenden Aufstiegschancen, Lehrkräftemangel und Bildungslücken, lässt sich nicht einfach mit Geld zu schütten.

# Video der Rede